Die1995 geborene Ella Rumpf ist derzeit die wohl bekannteste SchweizerSchauspielerin. Das liegt an ihrer Vielfalt und ihrer Lust, von Horror über Drama undKomödie viele Genres auszuprobieren. Hinzu kommt ihre Vielsprachigkeit, mit dersie in Deutschland, der Schweizund in Frankreich drehen kann. Aktuell sieht man sie in dem französischen Spielfilm „Die Gleichung ihres Lebens“ in ihrer ersten großen Hauptrolle.
Inihren Rollen fällt sie auf. Egal ob sie in „Tiger Girl“ in der Titelrolle brilliert, in der ORF-/Netflix-Serie„Freud“ eine verstörte, manipulierte junge Frau verkörpert oderin der HBO-Serie „Tokyo Vice“ eine Slowenin spielt, die alsHostess in einem Tokioer Edelclub arbeitet. Und obwohl Ella Rumpfbisher fleißig in vier Sprachen bisher in über 15 Kinofilmen und vier Serienmitgespielt hat, wird sie seit ihrem zweiten Spielfilm „Chrieg“von 2014 immer wieder (neu) entdeckt.
Imschweizerdeutschen „Chrieg“ spielt sie Ali, ein Mädchen unterJungs in einem Schweizer Bootcamp für schwererziehbare Jugendliche. Die Haaresind kurzgeschoren, ihr Hoodie ist ihre Uniform. Sie prügelt sich, geht nachtsmit den drei anderen Jungs auf Beutezüge, bricht im leeren Haus der betuchtenEltern ein und schlägt dort zusammen mit ihren Kumpels alles kurz und klein. Nebendieser Wut und Gewalt beeindruckt sie vor allem in zwei ruhigen Szenen. Einmalentdeckt sie ein neugeborenes Zicklein und nimmt es liebevoll in den Arm unddann küsst sie den Jüngsten, den 15-jährigen Matteo. Es ist ein zärtlicher Momentder leisen Schauspielkunst, den Ella Rumpf ebenso beherrscht wie das Ausdrückenvon Leidenschaft, Wildheit und Unangepasstheit.
Eine Frau, diesich zu wehren weiß
InDeutschland entdeckt man Ella Rumpf 2017 in „Tiger Girl“ an derSeite von Maria Dragus. Sie ist dort die anarchistische Tiger, eine junge Frau,die sich nicht nur zu wehren weiß und in der Konsumgesellschaft gerne Touristenoder Besser-Betuchte bestiehlt, sondern die auch Mitläufertum und Spießigkeitentlarvt. DerFilm von Jakob Lass wird auf der Berlinale in den Himmel gelobt,im Kino aber floppt das Werk, erreicht kaum mehr als 25.000 Zuschauer.
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InDeutschland folgen dann „nur“ noch Nebenrollen wie in „Lindenberg! Mach dein Ding“, wo sie eine große Liebe von „Udo“ spielt. Dafür jedochbesetzt der Österreicher Marvin Kren die 1995 in Paris geboreneSchweizerin in „Freud“ (2020). Dort spielt sie Fleur, eineUngarin und Roma, die von einem perversen Ehepaar manipuliert und hypnotisiertwird und in blutigen Séancen Männer betört. Auch der junge Freud verfällt ihr,will sie retten und befreien. Es ist in jeder Hinsicht eine Wahnsinnsrolle, dieElla Rumpf mit einer Intensität und Hingabe ausfüllt, die einen als Zuschauernicht mehr loslässt.
Trifftman Ella Rumpf im Interview zum aktuellen, französischen Kinofilm „Die Gleichung ihres Lebens“, vermag sie ebenso ernsthaft, humorvoll und reflektiertihre Rollen und Motivationen einzuschätzen. Das Gespräch findet Mitte Januar inParis statt, einen Monat bevor Ella Rumpf bei den „Césars“ als „Meilleure révélationféminine“ ausgezeichnet wurde. Man könnte es banal mit „Nachwuchsdarstellerin“umschreiben, obwohl Offenbarung der treffendere Begriff ist. In Frankreich hatman die Tochter eines Schweizers und einer Französin, die perfekt Deutsch,Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch spricht, erst mit „Die Gleichungihres Lebens“ wirklich wahrgenommen, obwohl sie bereits 2016 mit Julia Ducournau„Raw“ gedreht hatte.
VerinnerlichteEmotionalität
EllaRumpf spielt in „Die Gleichung ihres Lebens“ die jungeMathematikerin Marguerite aus bescheidenen Verhältnissen, die an einer alsunmöglich geltenden Gleichung zunächst scheitert und daraufhin in einem erstenImpuls die Mathematik aufgibt. Marguerite wirkt auch durch die große Brille wieein Mathe-Nerd, und es scheint, als ob Ella Rumpf die ganze Emotionalität derFigur diesmal viel eher verinnerlicht: „Ich habe nicht gemerkt, wie stark ichdas nach innen genommen habe … Der Zuschauer muss verstehen, warum diese Frauso eine starke Verbindung zur Mathematik hat. Es ist keine rationale, sonderneine emotionale Verbindung. Sie muss diese Gleichung lösen, oder sie stirbt.Die ganze Kraft, die sie hat, wird so mehr im Kopf ‚gechannellt‘.“
IhreRegisseurin Anna Novion hatte zunächst über 100 Schauspielerinnengesehen, aber nie die richtige Marguerite gefunden. Daraufhin schrieb sie ersteinmal das Drehbuch um, um diese Figur noch klarer zu definieren. Anna Noviontraf sich in einer zweiten Casting-Etappe nur noch mit vier Schauspielerinnen. Alssie Ella Rumpf kennen lernt, reden beide eher über Politik und Architektur.Aber Anna Novion war sich sicher, dass sie ihre Marguerite hatte, was ihrerHauptdarstellerin noch nicht so bewusst war: „Ich konnte überhaupt nicht sehen,was Anna in mir sah, und habe das auch in Frage gestellt und schrieb ihr eineMail, sie solle doch noch ein wenig weitersuchen, weil ich so schlecht inMathematik bin. Aber sie hat mich dann überzeugt, und Vertrauen ist so wertvollvon einem Regisseur.“ Lachend erzählt Ella Rumpf noch, dass sie eigentlich seitJahren versuche, die eingekehrte Person in ihr zu bekämpfen, die eigentlich nurfür sich selbst sein möchte.
Betrachtetman ihre Filmografie genauer, fällt natürlich auf, dass sie zwar in mehrerenGenres reüssiert hat, aber sich doch gerne Figuren auswählt, die sich denNormen der Gesellschaft verweigern oder gleich am Rande dieser kapitalistischenFriss-oder-Stirb Konsumwelt stehen. Und so beherrscht Ella Rumpf in ihren„Außenseiterinnenrollen“ eine breite Palette und fühlt sich auch zu diesenFiguren hingezogen: „Marguerite ist eine Außenseiterin, und ich liebeAußenseiter und finde, sie werden viel zu selten so gezeigt, dass man sie auchmag und bewundern kann. Dieser Faszination wollte ich mit Marguerite einen Platzgeben.“
Sprache ist ein Muskel
Vielleiser und fröhlicher hat sie Polina in der ersten Staffel von „Tokyo Vice“ angelegt, die unter anderem von Michael Mannproduziert wurde. Sie spielt dort eine Slowenin, die Schlimmes erlebt habenmuss, bevor sie nach Japan kam. Als hübsche junge Frau ist es ihre Aufgabe ineinem teuren Club, Männern das Geld aus der Tasche zu ziehen, sie zuunterhalten und zum Bestellen teurer Champagnerflaschen zu animieren. EllaRumpf spielt Polina als eine eigentlich sehr liebevolle, mitunter zu gutmütigejunge Frau, der nicht bewusst ist, dass sie als Frau auch selber nur eine Warein einer knallharten Männer-(Unter-)Welt ist, in der die Yakuza das Sagen hat.
Für„Tokyo Vice“ hat sie etwas Japanisch gelernt, in „Freud“ spricht sie ganzeSätze auf Ungarisch und über das Französische sagt sie im Bezug auf „DieGleichung ihres Lebens“, Französisch sei viel emotionaler als Deutsch, was dannauch in ihr Spiel einfließe. Im Bonusmaterial von „Tokyo Vice“ ist ihr einesehr kurze Featurette gewidmet, in der ein Statement herausragt: „Language is amuscle you got to use.“ (Sprache ist ein Muskel, den man benutzen muss).
Ella Rumpf dreht derzeit wieder einen Film inFrankreich und wird mit Sicherheit noch in vielen Genres und Rollen glänzen undwahrscheinlich auch eine Weile noch von Regisseurinnen oder Regisseuren„entdeckt“ werden, obwohl sie längst bewiesen hat, dass sie eine hervorragende Schauspielerinund schon lange keine „Nachwuchsdarstellerin“ mehr ist. Übrigens bekamen besagten„César“ der „Besten weiblichen Offenbarung“ vor ihr unter anderem Sophie Marceau, Mélanie Laurent, Charlotte Gainsbourg,Audrey Tautou und Vanessa Paradis. Ella Rumpf istweder Anti-Star noch Star und sagte über sich, als sie bei der Berlinale 2020einer der „Shooting Stars“ war: „Die Schauspielerei ist für mich eine Suchenach Welten, die ich noch nicht kenne.“